Schon bei meinem ersten Aufenthalt in Doha sollte ich die Möglichkeit bekommen, mich mit einem der erfolgreichsten Stürmer in der Geschichte von Real Madrid zu unterhalten: Der spanische Torjäger Raúl González Blanco war nämlich für die Cover-Story der ersten Ausgabe des Magazins „CHAMP“ eingeplant. Er hatte 2012 beim katarischen Spitzenklub Al Sadd SC angedockt und arbeitete parallel als Berater der Aspire Academy.
Entsprechend groß war die Vorfreude, als ich in der Früh von meinem Hotelzimmer, das sich in circa 250 Metern Höhe befand, einen Teil der gigantischen Sport-Anlagen in unmittelbarer Nähe überblickte. Das Torch-Hotel lag nur ein paar Hundert Meter von der Aspire Academy entfernt, was erklärte, dass internationale Fußball-Teams wie der FC Schalke 04 oder andere Athleten hier gerne abstiegen, weil sie bequem zu Fuß zu den Trainingsplätzen oder Indoor-Sport-Anlagen bei Aspire, über die Straße zum Einkaufszentrum Villaggio oder zum nahegelegenen Park mit künstlichem See, spazieren konnten.
Bevor ich mich auf den Weg machte, traf ich mich mit meinem Bekannten Tom Kern, der für das Magazin-Projekt verantwortlich war, zum Frühstück. Das Restaurant hieß „Flying Carpet“ und war wirklich mit Teppichen dekoriert, die den Eindruck vermittelten, sie würden an der Decke schweben. Dazu gab es am Buffet natürlich eine erlesene Auswahl feinster Datteln. Nach all den hyper-modernen Dingen, die ich bisher gesehen hatte, war es das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, mich doch im Orient zu befinden. Die immer lächelnde Servicekraft aus dem Sudan, deren Kopftuch farblich sehr gut mit ihrer Uniform abgestimmt war und mir einen „Karak“-Tee anbot, passte perfekt ins Bild.
Die „Perlensuche“ in der Wüste
Es brauchte nur wenige Schritte vor die Türe des Torch, um mir bewusst zu machen, dass sich vor mir eine neue Welt offenbarte. Ich kam mir ein bisschen vor wie ein Entdecker in der TV-Serie „Stargate“, nur in meinem Fall führte die Reise in eine andere Dimension der Sport-Entwicklung. Vor mir ragte eine imposante Konstruktion empor, die mich an eine gigantische blaue Muschel erinnerte. Das passte, denn schließlich zählte es zu den Aufgaben von Katars nationaler Sport-Talenteschmiede, die Perlen unter den katarischen Jugendlichen zu finden, die das Land erfolgreich bei Olympischen Spielen, Welt- und Asien-Meisterschaften vertreten sollten.
Im Hauptteil dieser „Muschel“ befand sich der Aspire Dome, eine der weltweit größten Indoor-Sportarenen mit einem Indoor-Fußball-Stadion für 6.000 Zuschauer, einer Leichtathletik-Arena für 4.000 Besucher, zwei Multisporthallen für Basketball oder Handball mit 1.200 bzw. 410 Zuschauerplätzen, eine Volleyball-Halle für 1.200 Zuschauer, ein olympisches 50-Meter-Schwimmbecken und ein olympisches Tauchbecken und da hatten wir noch nicht einmal die Tour durch das Erdgeschoss des Domes beendet.
Eine Tour, die zu diesem frühen Zeitpunkt eigentlich noch nicht geplant war. Da wir statt beim Haupteingang der Academy bei einem der Gates der Indoor-Sport-Arena gelandet waren, eskortierte uns der freundliche ghanaische Mitarbeiter der Security zu unserem Termin – und der kürzeste Weg führte eben praktischerweise quer durch den Aspire Dome.
Das „Who is Who“ der Sport-Elite
Nachdem das Magazin das Ziel verfolgen sollte, unterschiedlichen Stakeholder im In- und Ausland zu zeigen, was hinter der Arbeit der Academy steckte, gab mir die Premieren-Ausgabe die perfekte Möglichkeit, mich intensiv mit der Vision der 2004 eröffneten Einrichtung auseinandersetzen. Der beste Weg das zu tun, waren Gespräche mit Personen, die in der Verantwortung standen – angefangen mit Ivan Bravo. Der Spanier, der in der Aspire Academy die Rolles des Director General innehatte, war davor als Strategie-Direktor bei Real Madrid tätig.
Nur wenige Büros weiter war auf der Führungsebene mit Markus Egger auch ein Österreicher zu finden: Nach Management-Rollen bei Red Bull in der Formel 1, NASCAR bzw. im Eishockey und seiner Tätigkeit als General Manager der Fußballabteilung von Red Bull, war Egger im Jahr 2012 als „Director of Strategy“ zu Aspire Academy gewechselt.
Kaliber dieser Art gab es auf den meisten Positionen – die CVs der Personen vom Management bis zu den Coaches lasen sich wie das „Who is Who“ des internationalen Sports. Nachwuchs-Fußballtrainer, die früher Profi-Klubs in Europa trainiert hatten, Leichtathletik-Coaches, die Champions wie Englands Mo Farah zu Olympia-Gold geführt hatten oder Athletik-Trainer, die früher Top-Stars wie David Beckham zum Schwitzen gebracht hatten – alle Menschen, denen man hier begegnete, hatten beeindruckende Geschichte zu erzählen. Und diese zu finden, sollte eine meiner Hauptaufgaben im Rahmen dieses Projektes sein.
Lernen von einem „Galaktischen“
Die Cover-Story der ersten Ausgabe lag allerdings so gut wie auf der Hand: Mit dem spanischen Fußball-Star Raúl González Blanco, war der langjährige Kapitän und Rekordspieler von Real Madrid im Jahr 2012 nach Katar gekommen. Hier sollte er aber nicht nur für den Al Sadd SC in der „Qatar Stars League“ auflaufen, sondern auch als Berater der Fußball-Abteilung sein Wissen an die jungen Talente des Landes weitergeben. Es war nicht das erste Mal, dass ich mit dem Spanier zu tun gehabt hatte. In meiner Zeit als Pressesprecher von IFCS schlug er an der Seite von Ruud van Nistelrooy, Robinho oder Fabio Cannavaro gleich zweimal mit Real Madrid im Sommertrainingslager im Hotel Schloss Pichlarn auf. Mit Hunderten Fans, einem Dutzend internationaler Journalisten und einem strengen Sicherheitsprotokoll hatten die Trainingslagers der „Galaktischen“ das steirische Irdning immer in einen „Ausnahmezustand“ versetzt. In Doha traf ich den Spanier hingegen in entspannter Atmosphäre wieder und hatte nun die Möglichkeit, mich mit dem dreifachen UEFA Champions League-Sieger über seine Leidenschaft für den Fußball auszutauschen.
Es war beeindruckend von jemanden seiner Klasse zu hören, dass er – wenn es um seine Selbsteinschätzung ging – eigentlich nie der Schnellste war, nicht der beste Kopfballspieler, kein begnadeter Dribbler und auch nicht über den schärfsten Schuss verfügte. Seiner Ansicht nach waren es seine Leidenschaft, die ihn zu einem der gefährlichsten Angreifer der Welt gemacht hatten. Und sein Instinkt zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Eine Fähigkeit, die er schon als Kind an den Tag gelegt hatte. Er hatte einen sechsten Sinn dafür, wo der Ball nach einer Parade des Torwarts oder einem Abpraller landen würde. Aber Instinkt allein reichte seiner Meinung nach nicht aus: Man musste sein Talent entwickeln und weiter hart daran arbeiten, wenn man ein erfolgreicher Stürmer werden wollte.
Je mehr Zeit ich in der Academy verbrachte und je mehr Menschen ich hier kennenlernte, desto mehr dachte ich mir, welches Privileg diese jungen katarischen Athleten doch hatten, von so erfahrenen, inspirierenden und reflektierten Menschen tagtäglich etwas lernen zu dürfen. Die Unterhaltung mit Raúl war genau die Art von Gesprächen, die ich besonders liebte, denn ich wollte stets herausfinden, was Menschen dazu antrieb, über sich selbst hinauszuwachsen. Von diesen „Learnings“ konnte auch ich selbst enorm profitieren, da ich mir immer genau den Inhalt davon mitnahm, der bei mir selbst aktuell am meisten gefragt war. Derartig prägende Gespräche durfte ich in Katar noch sehr oft führen, vor allem nach meinem Umzug in die katarische Metropole im Jahr 2014.
Beitragsfotos: © AK BijuRaj