Es war ein sonniger Tag im Juni 2013 als ich mein Mietauto auf den Parkplatz des „Virginia Beach Sportsplex“ lenkte. Obwohl das W-League-Spiel der Piranhas erst in einer Stunde los ging, war das Stadion schon mit mehreren hunderten Menschen gefüllt. Für ein Spiel, das man vom Niveau betrachtet der zweithöchsten US-amerikanischen Frauen-Division bzw. der höchsten Frauen-Amateur-Liga zuordnen konnte, war das wirklich ein Top-Umfeld und dazu herrschte unter den circa 500 Zuschauer:innen – hauptsächlich Familien mit kleinen Kindern – eine tolle Atmosphäre.
Ich holte mir meine Akkreditierung ab und sicherte mir einen Platz, von wo ich das Spiel gut im Blick hatte. Ich war an diesem Tag nicht der einzige Scout aus Europa, der im Publikum zu finden war. Neben mir hatte jemand seinen Notizblock gezückt, der laut eigenen Angaben für englische Klubs wie FC Chelsea unterwegs war, daneben ein paar Trainer der US-Profiliga NWSL und Uni-Coaches der NCAA. Im Gegensatz zu ihnen war ich bei diesem Spiel etwas entspannter, schließlich hatte ich im Vorfeld schon zwei Stützen des Vereins für LUV Graz gewinnen können – zum einen war das die walisische Nationalteam-Stürmerin Shan Jones, die nach einer erfolgreichen Zeit in der Middle Tennessee State University nun in der Sommer-Liga ihr Können unter Beweis stellte und am Saisonende nach 11 Toren in 11 Spielen als „Wertvollste Spielerin der Saison“ und „Bester Rookie der Saison“ der W-League ausgezeichnet werden sollte.
Verletzung von Dolcetti brachte Waliserin ins Spiel
Ich war schon in ihrer Uni-Zeit auf Jones aufmerksam geworden, als ich stundenlang die verschiedensten Statistiken der US-College-Ligen auf der Suche nach treffsicheren Angreiferinnen durchforstet hatte. Dazu pflegte ich Kontakte zu Chef- bzw. Co-Trainern von Uni-Teams, die ich aber nicht ausschließlich nutze, um Informationen ihre eigenen Spielerinnen zu bekommen. Sie waren auch gute Quellen, um Dinge über Spielerinnen von konkurrierenden Unis zu erfahren. Sogar meine Kontakte aus meiner Zeit in Deutschland waren mitunter hilfreich: Mit Lars Ludwigs war ein ehemaliger Nachwuchsspieler des 1. FC Kaiserslautern inzwischen eine erfolgreiche Stütze der Uni-Fußball-Mannschaft der Gonzaga University geworden. Das traf sich gut, da ich beim Scouten auf die kanadische Stürmerin Emma Dolcetti gestoßen war und mithilfe des Deutschen war der Kontakt schnell hergestellt.
Aufgrund einer erst kürzlich auskurierten Kreuzbandverletzung wurde leider nichts aus dem Transfer. So ging die Suche weiter und Jones war eine auf der Liste von Angreiferinnen, für die das Trainer-Team und ich dachten, dass LUV Graz ein interessanter Entwicklungsschritt sein könnte. Die Statistiken und Videos, die auf YouTube zu finden waren, schauten vielversprechend aus, ebenso ihre körperlichen Werte. Ich wusste, dass einige Klubs aus Europa ein Auge auf sie geworfen hatten und dass wir es schwer haben würden mit ihnen mitzuhalten. Als Amateurklub konnte LUV Graz keine Spielerinnen anstellen und für die Europäerin Jones würden die Argumente mit denen wir US-Spielerinnen ein Engagement in der Steiermark schmackhaft machten – nämlich als eine Art Sprachaustausch, bei dem sie ihren Sport mit Reisen durch Europa, einem kostenlosen Deutsch-Kurs und dem Leben mit einer österreichischen Gast-Familie verbinden konnten – wohl kaum ziehen.
Von Molly Allen via Meaghan Dullea zu Shan Jones
Aber manchmal spielt eben auch der Zufall Regie. Bevor ich mit Jones Kontakt aufgenommen hatte, hatte ich nämlich einen anderen Transfer mit einer Spielerin aus den USA fixiert: Innenverteidigerin Meghan Dullea war eine ehemalige Teamkollegin der ehemaligen LUV Graz-Spielerin Molly Allen bei der Virginia Commonwealth University in Richmond gewesen und war schon während Allens Zeit in Graz mit mir in Kontakt, wusste von der Kanadierin Bescheid, was sie in Graz erwarten würde und welcher bürokratische Aufwand dafür notwendig war.
So entschieden wir uns relativ früh dazu, dass sie in der Herbstsaison 2013/14 für die Grazerinnen auflaufen würde. Davor würde sie in den Sommer-Monaten aber noch für die Virgina Beach Piranhas, dem Klub ihrer Heimatstadt, spielen. Wie es der Zufall wollte, führte auch der Weg der Waliserin Jones im Sommer zu eben diesem Klub. Mehr noch – sie wohnte in ihrer Zeit in Virginia Beach sogar im gleichen Haus wie Dullea. Als ich das erfuhr, war es nicht mehr besonders schwer, den Deal zu finalisieren.
„Wow, die geht ja ab wie eine Rakete!“, staunte der englische Scout als Jones der gegnerischen Abwehrreihe davon gesprintet war und die Torfrau eiskalt verladen hatte. „Weiß man schon, wo sie in Zukunft spielt?“, fragte er in die Runde, als er sich parallel fleißig Notizen machte. Ich lächelte und antworte mit etwas Stolz: „Ja, sie spielt ab August in Graz.“