Österreich: Deine hohe Zeit ist noch lange nicht vorüber

Die Enttäuschung stand den Spielern und den Fans nach dem Abpfiff in Leipzig ins Gesicht geschrieben. Nach der bitteren 1:2-Niederlage von Österreichs Fußball-Nationalmannschaft im EM-Achtelfinale gegen die Türkei überwog erstmal die sprichwörtliche Leere. Trotzdem wäre es nicht Österreich, wenn nicht auch aus dieser Leere die richtigen Lehren gezogen werden würden. Eines, was dieses Team auf jeden Fall geschafft hat, ist es, eine wahre Euphorie unter den Österreicherinnen und Österreichern in den letzten Wochen und Monaten zu entfachen, die gezeigt hat, was man alles erreichen kann, wenn man als Einheit auftritt und gemeinsam ambitionierte Ziele verfolgt.

Für mich persönlich war die Europameisterschaft in Deutschland die dritte EURO, bei der ich selbst in einer bestimmten Form aktiv dabei war. Im Jahr 2008 war ich als Volontär im Media Center des Klagenfurter Stadions, wo ich zwei Gruppenspiele der Polen gegen Deutschland bzw. Kroatien hinter den Kulissen miterlebte. Im Jahr 2016 reiste ich einmal kurz von Doha nach Paris, um beim letzten Gruppenspiel der Österreicher gegen Island dabei zu sein. Bei der aktuellen Europameisterschaft 2024 in Deutschland war ich mit einem Freund beim zweiten Gruppenspiel der Österreicher live im Berliner Olympiastadion. Der Gegner? Polen. Was dafür sorgte, dass ich kurioserweise gleich viele Spiele der Polen bei Europameisterschaften live gesehen hatte wie von Österreich.

Rückblickend muss ich aber sagen, dass ich selbst noch nie eine derartige Aufbruchstimmung in Österreich in Sachen Fußball erlebt habe. Das hatte mit vielen Faktoren zu tun. Einerseits hat sich der österreichische Fußball in den letzten Jahrzehnten extrem positiv entwickelt. Wenn man zum Beispiel in die deutsche Bundesliga schaut, sind bei fast jedem Verein österreichische Spieler zu finden, und das auch in bedeutenden Rollen. Österreichische Spitzenspieler wie David Alaba (Real Madrid), Konrad Laimer (Bayern München), Marcel Sabitzer (Borussia Dortmund) oder Marko Arnautovic (Inter Mailand) kämpften jedes Jahr mit ihren Klubs um den Sieg in der UEFA Champions League. Bergauf war es auch im österreichischen Klubfußball gegangen: Red Bull Salzburg hatte sich einen Namen als internationale Talenteschmiede gemacht und sich durch starke Leistungen im Europacup sogar ein Ticket für die FIFA-Klub-Weltmeisterschaft 2025 in den USA gesichert. 

Der „Schneckerl“ vom Betzenberg

Das war nicht immer so. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich im Jahr 2008 nach Ende der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz in der Presseabteilung des 1. FC Kaiserslautern in der zweiten deutschen Bundesliga andockte. Damals war gerade einmal eine Handvoll österreichischer Spieler in Deutschland engagiert, und spielten bei ihren Klubs oft keine tragenden Rollen. So war auch ich als Österreicher beim deutschen Traditionsclub in der Pfalz so etwas wie ein Exot, und die einzigen österreichischen Fußballer, mit denen meine Kolleginnen und Kollegen etwas anfangen konnten, waren die aus der Cordoba-Zeit. So hatte mir mein damaliger Vorgesetzter und Pressechef Oliver Dütschke bald den Spitznamen „Schneckerl“ in Anlehnung an den bekannten österreichischen Fußballer Herbert Prohaska verliehen.

Was für mich eine Parallele zwischen meiner Erfahrung in Deutschland und der aktuellen Europameisterschaft war, ist die Power, die Fußball im positiven Sinne haben kann. Kaiserslautern ist eine Stadt mit circa 90.000 Einwohnern, und über allem thront das Stadion am Betzenberg. Die „Roten Teufel“ ragten über allem und in gewisser Weise hatten sie eine beschützende Kraft über die Stadt. Jedes zweite Wochenende waren 40.000 Zuschauerinnen und Zuschauer im Stadion zu finden. Das bedeutete, dass fast jeder zweite Einwohner regelmäßig zu den Spielen des ersten FCK kam, was eine unglaubliche Zahl ist.

Warum das der Fall ist, hatte ich bald herausgefunden. In meinen unzähligen Terminen mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Stefan Kuntz wurde mir klar, dass der Fußball so etwas wie ein Rettungsanker für die Menschen in der Region war. Eine Region, die zu dieser Zeit auch mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte. Stefan Kuntz war so etwas wie das Sinnbild der Hoffnung, denn in der Saison davor hatte der FCK am letzten Spieltag den Absturz in die dritte Liga verhindert. Ein heroischer Akt, der notwendig war, um das Weiterbestehen des traditionsreichen Vereins zu sichern.

Diese Steherqualitäten brauchten die Menschen auch für sich selbst, und überall, wo Stefan Kuntz auftrat, folgten ihm die Menschen. Sie hingen gebannt an seinen Worten, auch wenn der Europameister von 1996 meistens immer die gleichen Botschaften predigte. Aber es war einfach so, dass die Menschen dank ihm und dem 1. FC Kaiserslautern wieder Hoffnung schöpften und als Einheit hat man das Gefühl, dass sich Herausforderungen einfacher bewältigen lassen.

Das neue Selbstbewusstsein Österreichs

Zusammen ist immer mehr möglich. Das brachte auch Ralf Rangnick bei seiner ersten Pressekonferenz als ÖFB-Teamchef im Jahr 2022 sehr gut zum Ausdruck: Die Kunst von guten Trainern liegt darin, Teams so zusammenzustellen, dass sich die Spieler gegenseitig ergänzen. „Es muss das Ziel sein, mit einer Mannschaft etwas zu erreichen, was mehr ist, als die zu erwartende Summe der Qualität der Einzelspieler.“ Das die Österreicher dazu in der Lage waren bewiesen sie eindrucksvoll durch ihre Siegesserie in der EM-Quali, in der Vorbereitung auf die EURO und in der Gruppenphase. Die Mannschaft und er waren eine Einheit geworden, die gemeinsamen Ziele hatten sich nach oben verschoben.

Das wirkte sich auch auf das Selbstbewusstsein der Menschen in Österreich aus. Überall, wo ich während der EURO war, hatte ich das Gefühl, dass die österreichischen Fans sowie auch die österreichische Mannschaft etwas entwickelt hatten, was es schon lange nicht mehr gegeben hatte. Nicht nur, dass sie füreinander da waren und sich gegenseitig akzeptierten, wie sie waren. Rangnick, Alaba, Sabitzer und Co. hatten etwas geschafft, was es meiner Meinung nach in diesem Ausmaß schon lange nicht mehr gegeben hatte. Sie hatten einen Nationalstolz entfacht. Wir fuhren nicht mehr zur Europameisterschaft, um einfach dabei zu sein und sich von dem tollen Turnier begeistern zu lassen. Nein, wir fuhren hin, um wirklich mitzuspielen und vielleicht auch für eine Sensation zu sorgen. Etwas, dass der Gruppensieg der Österreicher in der sogenannten „Todesgruppe“ mit Teams wie Frankreich, Holland und Polen, für viele Experten und ausländische Fans bestimmt auch war.

Wir hatten uns den Respekt zurückgeholt, den wir in den letzten Jahrzehnten verloren hatten. Das war auch teilweise schon vor Turnierstart so, als Österreich von vielen als gefährlicher Außenseiter gesehen wurde. Zu Beginn der Europameisterschaft hatte ich ein Gespräch mit Ex-FCK-Kollegen Oliver Dütschke, der nach seiner Zeit im Fußball übrigens ein populärer Sport-Podcaster geworden war. Ich sagte ihm: „Wir holen sieben Punkte und steigen ohne Probleme auf.“ Er schmunzelte und bezeichnete mich als extremen Optimisten. Darauf entgegnete ich: „Wo wäre die Welt ohne Optimisten?“ Er traute uns maximal fünf Punkte zu. Im Endeffekt wurden es sechs Punkte und wir holten den Gruppensieg. So falsch war ich also gar nicht gelegen.

Was bleibt, ist Stolz, Verbundenheit und Reinhard Fendrich

Dass es im Spiel gegen die Türkei doch nicht mit dem erhofften Aufstieg ins Viertelfinale klappte, hat wahrscheinlich mehrere Gründe. Zum einen ist es natürlich extrem unglücklich, aus vier Eckbällen der Türken zwei Gegentore zu bekommen, noch dazu das erste in der allerersten Minute. Trotzdem hat sich das österreichische Team von diesem Schock recht gut erholt. Aber das Spiel verlief eigentlich so, wie es vorab eingeschätzt hatte. Die Türken überließen uns weitgehend den Ball, zogen sich nach der Führung weit zurück und wir konnten unser Pressing nicht so ausspielen, wie es gegen andere Gegner wahrscheinlich möglich gewesen wäre. Trotzdem gaben wir nie auf. Dass es am Ende nicht klappte, hat natürlich auch mit einer Glanzparade des türkischen Torwarts in der 95. Minute bei Baumgartners Kopfball zu tun. Auch ich empfand nach dem Spiel eine große Leere und konnte die Trauer und Enttäuschung von Sabitzer, Gregoritsch oder Wöber am Spielfeld gut nachvollziehen.

Aber es wäre nicht Österreich, wenn wir nach dieser Niederlage nicht wieder aufstehen würden. Es wäre nicht Ralf Rangnick, wenn er nicht auch aus dieser Leere etwas Lehrreiches ableiten könnte. Und es wäre nicht Österreich, wenn wir diesen Nationalstolz und diese positive Energie nicht in die Zukunft mitnehmen würden – in eine Zukunft, in der wir uns wieder darauf konzentrieren sollten, auf die Dinge zu schauen, die uns miteinander verbinden und weniger auf die Dinge, die uns trennen. Und ich glaube, das ist es, was von dieser Europameisterschaft in Österreich übrigbleiben wird. Etwas, das weitaus wichtiger ist als ein Aufstieg in ein Viertelfinale der EURO 2024.

Was war mein persönlicher EURO-Moment? Definitiv mein Trip nach Berlin, die grandiose Stimmung in der ganzen Stadt und das gemeinsame Singen von Reinhard Fendrichs inoffizieller Bundeshymne „I am from Austria“ gemeinsam mit dem ÖFB-Team und circa 25.000 österreichischen Fans beim 3:1-Sieg gegen Polen im Olympiastadion. Ein unvergesslicher Gänsehautmoment, der vielen die Tränen in die Augen trieb. Schön war es auch, dass mit Gernot Trauner ausgerechnet ein Spieler die österreichische Führung erzielte, dessen Durchbruch in den Erwachsenenfußball ich in meiner Zeit als LASK-Pressesprecher hautnah miterleben durfte. Damals noch als „Youngster“ bei den „LASK Juniors“ unter Fußballlegende Toni Polster.



Beitragsfoto: © Christopher Eder

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