Der „AFC Asian Cup Qatar 2023“ sorgte zwischen dem 12. Jänner und 10. Februar 2024 erneut für ein Fußballspektakel im Emirat am Persischen Golf. Im Gegensatz zur vergangenen FIFA-Weltmeisterschaft gab es diesmal allerdings ein „Happy End“ für den Gastgeber: Die Kataris beendeten das Turnier, das mit 1,06 Millionen Stadienbesucher:innen einen neuen Rekord für Asien-Meisterschaften aufstellte, ungeschlagen und jubelten am Ende über die erfolgreiche Verteidigung ihres Titels, den sie 2019 erstmals in den Vereinigten Arabischen Emiraten errungen hatten. Im Zentrum des Jubels stand vor allem ein Spieler: Der 27-jährige Stürmer Akram Afif.
Ich erinnere mich noch gut daran, als ich Akram das erste Mal im Jahr 2013 in der Aspire Academy bei einer Trainingseinheit in Aktion erlebte. Die enge Ballführung des damals 16-Jährigen, der Speed, das Auge für seine Mitspieler und sein Zug in den Strafraum fielen mir sofort auf. Während ein Bekannter mir erzählte, welchen Spielern dieses Jahrgangs die Experten die größte Entwicklung zutrauten, nickte ich in Akrams Richtung. „Was ist mit ihm? Wie er sich am Feld bewegt und wie er mit dem Ball umgeht – das schaut schon jetzt wie bei einem Profi aus.“ Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht viel über den jungen Katari, aber das sollte sich vor allem nach meinem Umzug nach Doha im Jahr 2014 später schnell ändern.
Die Anlagen für die große Bühne
Seit 2012 fand auf der Anlage von Aspire mit dem „Alkass International Cup“ das wahrscheinlich am besten besetzte U-17-Fußball-Turnier der Welt statt. Dabei konnten Fußballfans den größten Talenten von Klubs wie Paris Saint-Germain, Real Madrid oder AC Milan auf die Beine schauen – spätere Profis wie der französische Top-Star Kingsley Coman, US-Team-Stürmer Tim Weah oder Ungarns Dominik Szoboszlai hatten hier bereits auf sich aufmerksam gemacht. Auch auf den Trainerbänken waren mit Marco Rose, Tim Walter oder Scott Parker Coaches zu finden, die später in Top-Ligen von sich reden machen sollten. Vom Ambiente war Turnier so aufgezogen, als würde die UEFA Champions League komprimiert in einer Woche stattfinden. Von der Ankunft der Teams am Hamad International Airport bis zur Abreise – alles wurde von Katars Sport-TV-Sender und Event-Sponsor „Alkass“ rund um die Uhr begleitet. Für den Ehrenankick wurden extra Top-Stars wie Edgar Davids oder David Trezeguet eingeflogen.
Einer, der auf dieser Bühne im Jahr 2013 die Augen vieler Scouts auf sich zog, war Katars Akram Afif: Gleich zweimal wurde er für seine Leistungen und Tore gegen Esperance Sportive de Tunis und Liverpool FC als „MVP“ ausgezeichnet. Man sah ihm an, dass er es liebte, sich im Wettkampf zu messen und je namhafter der Gegner war, desto mehr schien es ihn zu motivieren. Akram, dessen Vater und älterer Bruder beide Fußballprofis gewesen waren, liebte die Herausforderung. Das bescheinigte ihm auch sein langjähriger Weggefährte und Trainer in den verschiedenen katarischen Nationalteams, Felix Sanchez. „Schon als Zehnjähriger fiel er durch sein Talent auf und es half sicher, dass ihm die Liebe zum Fußball schon früh von zuhause mitgegeben worden war“, erzählte mir der Spanier, der vor seinem Umzug nach Katar Nachwuchstrainer beim FC Barcelona gewesen war, einmal.
Oberflächlich betrachtet mochte man meinen, dass Akrams Aufstieg fast kometenhaft passierte. In Wirklichkeit steckte aber eine Menge harter Arbeit dahinter. Dank des neu installierten „Europe Projects“ von Aspire konnte er schon als „Youngster“ für einige Monate in der Akademie des FC Sevilla mittrainieren und er nutzte die freie Zeit, um sich im Ramon Sanchez Pizjuan Stadium vor 40.000 Zuschauern Spiele der Profis in der La Liga anzuschauen oder schaute seinen Vorbildern Jesus Navas oder Ivan Raktitic beim Training auf die Beine. Auch beim FC Villarreal durfte er für ein paar Monate „hospitieren“. Die Spiele sah er aber nur von der Tribüne aus, denn aufgrund der FIFA-Statuten waren transkontinentale Wechsel unter 18 Jahren nicht erlaubt. „Jeder beim Klub war sehr zufrieden mit Akram und lobte seine professionelle Einstellung. Nur, dass er nicht spielen durfte, ärgerte einen Wettkampf-Typen wie ihn“, erinnert sich Sanchez.
Ein Leader auf und abseits des Fußballplatzes
Diesen unbändigen Willen sollte er wenig später beim „U-19 Asien Cup“ im Jahr 2014 unter Beweis stellten. Aufgrund einer Verletzung rechneten die wenigsten damit, dass er im Kader von Felix Sanchez aufscheinen würde. Aber Akram tat alles Menschenmögliche, um seine Mitspieler bei diesem Turnier unterstützen zu können, schuftete gleich dreimal am Tag mit den S&C-Coach. So schaffte er es auf den letzten Abdruck noch in den Flieger nach Myanmar. Was dann passierte, liest sich fast wie ein Märchen: In jedem Spiel, in dem er eingewechselt wurde, erzielte er einen Treffer – so auch das entscheidende Tor beim 1:0-Finalsieg gegen Nordkorea.
Was viele aber nicht wussten, war, dass er auch abseits des Platzes seine Qualitäten als Leader bewiesen hatte indem er dafür gesorgt hatte, dass seine Teamkollegen die gleich professionelle Einstellung an den Tag legten wie er. Er sorgte dafür, dass alle rechtzeitig im Bett waren und dass der Fokus auch beim Training aufrecht erhalten blieb. So erlebte er dann am Flughafen von Doha den Ausnahmezustand, der herrschte, als das siegreiche U-19-Team eintraf. Gefühlt war die ganzen 450 Angestellten der Aspire Academy, sowie die Familien und Freunde der Spieler am Rollfeld vertreten, um das Team, das sich zu 100 Prozent aus Aspire-„Student-Athletes“ zusammensetzte, zu empfangen.
Der Erfolg in Myanmar war sicher ein schöner Meilenstein in Akrams noch junger Karriere, aber das nächste Ziel war klar: Nun musste der Schritt in den Erwachsenfußball gemeistert werden. Darum ging es für den Außenspieler weiter nach Belgien zu KAS Eupen, dem Klub, der im Portfolio der Aspire Zone Foundation zu finden war. Dort trainierte er sofort mit der Profimannschaft mit, absolvierte parallel im Fernunterricht sein letztes Schuljahr an der Academy. Wenige Tage nach seinem 18. Geburtstag feierte er das lang ersehnte Debüt in Belgiens zweiter Division – und sorgte mit seinem ersten Profi-Tor auch gleich für den 2:1-Sieg gegen Eendracht Aalst.
Die wichtige Lektion der FIFA U-20-WM
Im Vorfeld der FIFA-U20-Weltmeisterschaft 2015 in Neuseeland hatte ich die Möglichkeit, Akram mit einem Kamerateam in Eupen zu besuchen. Vor den wachsamen Augen seines Vaters war er beim Training gewohnt konzentriert bei der Sache, hörte dem Trainer aufmerksam zu ließ sich bereitwillig Tipps von gestandenen Profis wie dem Spanier Luis Garcia geben. Ich hatte den Eindruck, dass er von seiner Zeit in Belgien so viel wie möglich mitnehmen wollte, um noch besser auf noch größere Aufgaben vorbereitet zu sein.
Dank des Sieges in Myanmar, waren die katarischen Talente automatisch für Neuseeland qualifiziert. In einem Trainingslager in Österreich übten sie gegen internationale Top-Gegner den Ernstfall. Doch auch die intensive Vorbereitung konnte nicht verhindern, dass sie nach Niederlagen gegen Portugal (0:4), Colombia (0:1) and Senegal (1:2) schon früh die Heimreise aus Neuseeland antreten mussten. Kurz darauf traf ich in Doha einen sehr reflektierten Akram, als er in der Academy seine letzten Prüfungen nachholte, die zum Schulabschluss notwendig waren.
„Wir wussten, dass die Teams bei der WM weit stärker sind als die Mannschaften, die wir in Myanmar besiegt haben. Deshalb haben wir uns noch intensiver vorbereitet und wollten nichts dem Zufall überlassen. Wir waren in der Lage, starken Mannschaften wie Senegal und Kolumbien Paroli zu bieten, aber uns fehlte vielleicht noch etwas die Erfahrung auf diesem Niveau,“ schätzte Akram die Leistungen realistisch ein. „Ich denke, wenn ich die Chance hätte, das Turnier noch einmal zu spielen, würde es mir mit dem Wissen, das ich mir von Neuseeland mitgenommen habe, viel leichter fallen. Wir können auf jeden Fall auf dem aufbauen, was wir erreicht haben, und wir haben gezeigt, dass wir den Abstand zu den Top-Nationen noch weiter verringert haben.“
Vom Rekordbrecher zu Asiens „Spieler des Jahres“
All diese Erfahrungen machten ihn stärker und waren mitverantwortlich, dass er kurz darauf katarische Fußballgeschichte schrieb: Nach dem Aufstieg in die erste belgische Liga mit Eupen, kehrte er 2016 zu Villarreal zurück – diesmal aber nicht zum Hospitieren, sondern mit einem Profivertrag für die erste Mannschaft. Wenig später wurde er an Sporting Gijon verliehen, wo er am 21. August beim 2:1-Sieg gegen Athletic Bilbao als erster katarischer Spieler in der spanischen “La Liga” debütierte.
Auch auf Nationalteamebene ging es rasant bergauf: Bereits wenige Monate nach der U20-WM in Neuseeland lief er erstmals für die A-Nationalmannschaft auf und er war vier Jahre später auch einer der Protagonisten beim sensationellen Sieg der Kataris beim AFC Asien-Cup 2019, wo er in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit 10 Assists einen neuen Turnier-Rekord aufstellte.
Das Jahr 2019 sollte ihm noch lange in Erinnerung bleiben, denn mit 26 Toren and 15 Assists hatte er maßgeblichen Anteil am Meisterschaftstitel von Al Sadd in der „Qatar Stars League“. Darüber hinaus steuerte er noch 5 Treffer beim Erfolgslauf seines Klubs in der „AFC Champions League“, der erst im Semifinale gestoppt wurde, bei. Als Anerkennung für seine herausragenden Leistungen wurde er von der Asian Football Confederation (AFC) auch als „Asiens Spieler des Jahres“ ausgezeichnet.
Der WM-Enttäuschung folgt erneuter Asien Cup-Triumph
Nach den vielen Höhenflügen kam dann ausgerechnet bei der lange herbei gesehnten Heim-Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2022 der Karriereknick. Das Turnier verlief für Veranstalter Katar leider sehr enttäuschend: Nach drei klaren Niederlagen in der Gruppenphase gegen Ekuador, Senegal und die Niederlande folgte das frühe Turnier-Aus. Daran hatten auch bemühte Auftritte von Akram oder Meshaal Barsham nichts ändern können. Es folgte internationales Kopfschütteln. Hatte sich das große Investment der Katari in die Entwicklung einer konkurrenzfähigen Fußball-Nationalmannschaft letztendlich doch nicht ausgezahlt?
Ich widersprach dieser These schon als TV-Experte bei der WM-Analyse im ORF. Schließlich hatte ich die Entwicklung der Spieler hautnah miterlebt und hatte die Erfolge von Akram & Co. im Nachwuchs und beim gewonnenen Asien Cup im Jahr 2019 noch sehr gut im Kopf. Diese Ergebnisse waren kein Zufall gewesen. Das bewiesen die katarischen Spieler schon wenig später beim „2023 AFC Asia Cup“, der Anfang 2024 in Katar stattfand. Dass der Heimvorteil bei diesem Turnier genutzt wurde, hatte sicher mehrere Gründe. Nicht nur die Spieler waren reifer geworden und hatten aus der WM ihre Lehren gezogen. Auch die katarischen Zuschauer waren vom Start weg super-supportive, sorgten für ausverkaufte Stadien und eine atemberaubende Atmosphäre.
Einer, der bei der beeindruckenden Titelverteidigung aus dem starken Kollektiv der Katari noch herausstach, war Akram Afif. Mit 8 Toren, davon allein drei beim 3:1-Finalsieg gegen Jordanien, und drei Assists wurde er nicht nur Torschützenkönig, sondern auch von den Experten zum besten Spieler des Turniers gewählt. Wie schon als Jugendlicher beim U19-Asien Cup-Sieg im Jahr 2014 war Akram Afif ein Jahrzehnt später wieder der katarische Spieler, der mit breiter Brust voran ging, sich in den Dienst der Mannschaft stellte und in den entscheidenden Momenten – wie vom Elfmeterpunkt – Verantwortung übernahm. Er hatte sichtlich die richtigen Lehren aus der verkorksten WM gezogen und vielleicht war es auch kein Nachteil, dass kurz vor dem Turnierstart der portugiesische Coach Carlos Queiroz durch den Spanier Tintín Márquez ersetzt wurde. Ausgerecht durch den Trainer, der Akram im Jänner 2015 bei KAS Eupen zu seinem Debüt im Profifußball verholfen hatte.
Als Sympathieträger ins Ausland?
Die Karriere von Akram ist ein gutes Beispiel, was man erreichen kann, wenn man sich nicht nur auf sein Talent verlässt, sondern kontinuierlich versucht, weiter an sich zu arbeiten. Er ist ein „Role Model“, weil er stets bereit war, über Rückschläge zu reflektieren, um daraus etwas zu lernen. Seine Bodenständigkeit gepaart seinem professionellem Mindset haben ihn letztendlich zu einem von Katars erfolgreichsten Sportler aller Zeiten gemacht. Einer, der beim Asian Cup im Jahr 2024 auch abseits seiner sportlichen Leistungen Sympathiewerte sammelte, indem er seine Tore beim Jubeln mit einer Geste, die den Buchstaben „S“ darstellte, seiner Frau widmete.
Und wie schon 2019 wurde ich von vielen Bekannten mit der Frage konfrontiert „Warum spielt so ein Spieler nicht in Europa?“ An Anfragen für den Al Sadd-Spieler dürfte es aktuell bestimmt nicht mangeln. Aber hat er sich wirklich noch etwas in Europa zu beweisen? Schließlich hatte er diese Erfahrung schon gemacht. Auch in Saudi Arabien hätte er die Möglichkeit, sich mit großen Namen zu messen und das wäre auch nicht weit weg von seiner Heimat. Egal, was Akrams nächster Schritt sein wird, er wird wie immer gut überlegt sein. Ich bin jedenfalls gespannt und werde seine Entwicklung definitiv mit großem Interesse weiterverfolgen.
Foto: © Fadi Elassaad