London war eine ganz besondere Station in meiner Karriere gewesen. Einerseits konnte ich im Rahmen des CSR-Projekts „Arsenal Double Club“ zwei meiner größten Leidenschaften – Fußball und Sprachen – perfekt miteinander verbinden und andererseits bekam ich dank eines weiteren Exil-Grazers einen guten Einblick ins englische Fußball-Business.
Johnny Ertl stand zur gleichen Zeit nämlich bei Championship-Klub Crystal Palace unter Vertrag und neben Freikarten für seine Spiele im Selhurst Park übernahm er mehr oder weniger auch gleich mein „Onboarding“ in der Weltstadt an der Themse.
Der Steirer, denn ich davor das letzte Mal 2007 im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Wien getroffen hatte, wo auch mein Buch „Unsere Kicker“ vorgestellt wurde, hatte sich nach einem zähen Beginn bei dem Klub im Süden von London gerade in die Mannschaft hineingekämpft. „Anfangs war es schon hart, da pendelte ich zwischen Ersatzbank und Tribüne. Und wenn du sagst, du kommst aus Österreich, glauben sowieso alle, du hast die Sportart verwechselt, denn von dort kommen ja eigentlich nur Schifahrer“, hatte er mir einmal mit einem Schmunzeln erzählt. Aber Johnny ließ sich nicht unterkriegen und bewies auch vor allem in der Kabine seine Qualitäten als „Glue-Player“, denn durch seine offene Art verstand er sich mit allem gut.
Seine zwischenmenschlichen Qualitäten, die einen wesentlichen Beitrag zum Team-Zusammenhalt leisteten, sollten in dieser Zeit besonders gefragt sein. Denn Crystal Palace war in so arge finanzielle Not geschlittert, dass der Klub Insolvenz anmelden musste. Mega-Talent Victor Moses musste über Nacht an Wigan verkauft werden, Abwehrchef José Fonte ereilte ein ähnliches Schicksal. Aber das Team um Manager Neil Warnock biss die Zähne zusammen, kämpfte nach dem Abzug von 10 Punkten bis zur letzten Sekunde darum, um in der Liga zu bleiben – was in der allerletzten Runde durch ein denkwürdiges 2:2-Remis bei Sheffield Wednesday auch gelang.
Bundesliga-Pressesprecher auf der “Bucket List”
Die emotionale Achterbahnfahrt, die ich mit Crystal Palace miterlebt hatte, waren möglicherweise ein Mitgrund, dass meine nächste Karriere-Station ein Fußballklub sein würde.
Tatsächlich hatte ich zu dem Zeitpunkt als ich über meine Rückkehr nach Österreich nachdachte mehrere gute Optionen am Tisch: Eine in Wien, die sich durch meine Connections aus München aufgetan hatte, eine war in der Nähe von Salzburg und die dritte war eben ein Klub der österreichischen Fußball-Bundesliga.
Und auch wenn die ersten Optionen sehr reizvoll gewesen waren, zog es mein Herz mehr in die Richtung des Fußballklubs. Auch weil ich das Gefühl hatte, dass sich der Verein aus Linz wirklich sehr um mich bemühte.
Bei einem Kurz-Stop in Österreich holte mich der damalige Präsident des Klubs, Peter Michael Reichel, persönlich vom Flughafen ab und kutschierte mich zum Linzer Bahnhof, von wo ich dann mit dem Zug nach Wien weiterreiste. Im Bahnhofscafé wurde über die Ziele des Klubs gesprochen, die durchaus sehr ambitioniert klangen – auch weil der Klub im Vorjahr bis ins Halbfinale des ÖFB-Cups vorgestoßen war.
Und als Pressesprecher eines Klubs zu arbeiten, war etwas, auf das ich insgeheim schon lange hingearbeitet hatte. Motiviert wie ich war, hatte ich mich schon während die Gespräche liefen hingesetzt und basierend auf meinen bisherigen Erfahrungen aus meiner Zeit bei den „Internationalen Fußball Camps Steiermark“ – wo der Linzer Präsident sogar eine Referenz über mich eingeholt hatte – , im Medien-Center der UEFA EURO 2008, beim 1. FC Kaiserslautern oder auch aus meiner England-Zeit ein Konzept erarbeitete, wie die Kommunikation des Klubs in der kommenden Saison ausschauen könnte.
Ein Schock auf mehreren Ebenen
So kam es dazu, dass ich im Juni 2010 den London hinter mir ließ, um meinen Job als Pressesprecher beim LASK in Linz anzutreten. Ein Umzug, der auch einen Kulturschock mit sich brachte – denn aus England war ich es inzwischen gewohnt, dass die meisten Geschäfte rund um die Uhr geöffnet hatten – in Linz schlossen einige hingegen sogar über Mittag ihre Türen.
Mit viel Selbstbewusstsein war der Klub in die Vorbereitung gestartet, dazu hatte der LASK mit Spielern wie Alexander Zickler, Thomas Krammer oder Thomas Mandl einige erfahrene Leute dazu geholt. Aber der Kader-Umbruch sollte sich doch schwerwiegender auf die Mannschaft auswirken als erwartet. Damit, dass die ersten fünf Liga-Spiele verloren wurden, hatte natürlich keiner gerechnet. Darüber konnten auch „Bonus“-Spiele wie der Testspiel-Kracher gegen Felix Magaths Schalke 04 nur wenig hinwegtrösten.
Für mich war Linz eine Chance, vor allem sehr viel dazu zu lernen. Das Organisieren und Moderieren von Pressekonferenzen wurden schnell zur Routine. Selbst als der damalige Red Bull Salzburg-Coach Huub Stevens bei einer PK nach Schlusspfiff kein Wort zu den anwesenden Journalisten sagen wollte, konnte das mich nicht aus der Ruhe bringen.
Dazu hatte der Klub einige interessante Publikationen am Start, es wurden „Road Shows“ durch Oberösterreich veranstaltet, es standen Sponsoren-Events auf dem Programm und zusammen mit zwei top-motivierten Praktikant:innen kümmerte ich mich um sämtliche Kanäle des Vereins.
Besonders spannend war in dieser Phase die Verlegung eines Heimspiels von der „Gugl“ ins benachbarte Paschinger Waldstadion, dazu übernahm ich im Verein auch die Funktion des Fanbeauftragten und unterstützte das Team-Management vor allem bei der Integration der Neuzugänge aus der USA.
Autogrammstunde mit „Doppelpack-Toni“
Was für mich in meiner Zeit bei den Linzern ein echtes Highlight war, war die Arbeit mit der zweiten Mannschaft, die in der Regionalliga Mitte spielte. Die Art, wie das blutjunge Team, in dem auch Talente wie Gernot Trauner, Simon Piesinger oder Kevin Wimmer zu finden waren, auftrat, war unbekümmert und abgebrüht zugleich.
Eine Taktik, die sich auch in den Ergebnissen widerspiegelte und sie in der Liga auf den vorderen Plätzen finden ließ. Der Vater des Erfolgs war kein anderer als der langjährige ÖFB-Rekordtorschütze Toni Polster, der einmal zufällig neben dem LASK-Präsidenten im Flugzeug gesessen war und später bei der Landung den Job als Trainer der Amateurmannschaft in der Tasche hatte.
Und er ließ es sich auch nicht nehmen, sich bei den Trainingseinheiten selbst aktiv einzubauen und vor allem die Torhüter mussten zur Kenntnis nehmen, dass er von seiner Schusstechnik auch nach dem Ende seiner Spielerlaufbahn kaum etwas eingebüßt hatte.
Auch die Auswärtsspiele mit den „LASK Juniors“ wurden immer zu besonderen Spektakeln. Selbst wenn die Regionalliga-Mannschaften am Ende die drei Punkte den Gästen aus Linz überlassen mussten, hatte man den Eindruck, dass die Fans trotzdem zufrieden nachhause gingen – immerhin hatten sie Toni Polster live an der Seitenlinie erleben dürfen und vielleicht sogar ein Autogramm ergattert.
Der ehemalige ÖFB-Legionär, der einst Verteidigern in Spanien, Italien und Deutschland das Fürchten lehrte, hatte ein besonderes Charisma, das Menschen in seinen Bann zog.
Einmal fuhren Toni und ich bei einem Spiel in der Steiermark der Mannschaft voraus. Da wir gut in der Zeit lagen, beschlossen wir, bei der Autobahnraststätte in Zöbern eine kurze Pause einzulegen.
Bevor er ausstieg, steckte er noch schnell eine Packung Autogrammkarten in seine Jackentasche. „Glaubst du wirklich, dass du die hier brauchst?“ Er grinste und meinte nur „Warts ab.“ In der Raststätte angekommen, setzen wir uns an einen Tisch im Eingangsbereich.
Innerhalb von Sekunden war eine Kellnerin bei uns. „Normalerweise ist hier Selbstbedienung, aber bei Ihnen, Herr Polster, machen wir gerne eine Ausnahme. Was darf ich Ihnen denn bringen?“ Er bedankte sich bei der netten Dame und bestellte uns zwei Cappuccinos. Und als wenige Augenblicke später eine Schulklasse um die Ecke bog und ihn ein Kind nach dem anderen mutig um ein Autogramm fragte, zückte er bereitwillig die Karten und seinen Kugelschreiber und lächelte spitzbübisch. „Ich habs dir ja gesagt.“