Die Akte „Molly Allen“

Es waren erst wenige Tage vergangen, nachdem ich im Sommer 2012 offiziell die Position des Sportdirektors beim österreichischen Frauen-Bundesliga-Klub LUV Graz übernommen hatte, als mir vom Jugendleiter eine E-Mail weitergeleitet worden war. Die Absenderin? Eine gewisse Molly Allen, Kanadierin und ihres Zeichens Fußballerin des US-Klubs Philadelphia Fever. Damals wusste ich noch nicht, dass dieser Moment nachhaltigen Einfluss auf meine noch junge Karriere im Sport-Management haben sollte.

Nachdem ich bereits ein Jahr beim Klub das Marketing und die Pressearbeit erfolgreich vorangetrieben hatte, hatte ich von der Klubführung nun die Möglichkeit bekommen, mich auch im sportlichen Bereich mehr einzubringen. Nachdem ich 2008 im gleichen Jahrgang wie der spätere Red Bull Salzburg-bzw. FC Bayern München-Sportdirektor Christoph Freund und Mattersburg– und Austria Wien-Cheftrainer Gerald Baumgartner den Diplom-Lehrgang der österreichischen Fußball-Bundesliga in „Sport-Management“ – heute bekannt unter dem Namen „Bundesliga-Campus“ – abgeschlossen hatte, war ich natürlich entsprechend glücklich über die Chance, mich auf dieser Bühne zu beweisen.

Eine Kanadierin für die "Talenteschmiede" LUV Graz?

An internationale Transfers hatte ich am Anfang natürlich nicht gedacht. Für einen kleinen Verein wie LUV Graz hatte es Priorität, die größten Nachwuchstalente der Region zu finden und in der Folge für den Klub zu begeistern. Allein dafür brauchte man gute Kontakte, denn die besten Jugendspielerinnen waren zu dieser Zeit meistens in den Nachwuchsteams der Burschen versteckt. Dank eines guten Netzwerks unserer Trainer kamen über diese „Pipeline“ immer wieder talentierte Mädchen zum Vorspielen auf die Anlage des LUV.

Der Sprung vom Nachwuchsfußball zu den Erwachsenen verlief bei den Frauen grundsätzlich um einiges schneller als bei den Männern – so feierten viele schon im Alter von fünfzehn Jahren ihr Bundesliga-Debüt bei LUV. Eine paar Jahre früher war das zum Beispiel die spätere ÖFB-Kapitänin Viktoria Schnaderbeck gewesen und in meiner Zeit lief mit Barbara Dunst ebenfalls eine spätere Teamkickerin und Deutschland-Legionärin beim Klub in der Grottenhofstraße bereits als 15-Jährige in der höchsten Liga auf. Im Fall von Dunst ging das Debüt allerdings beim Auswärtsspiel in Innsbruck in Szene, ohne dass sie davor auch nur ein einziges Training mit der Mannschaft absolviert hatte. Aber das große Talent war schon beim ersten Ballkontakt ersichtlich gewesen.

Die E-Mail von Molly Allen war nicht die erste Anfrage aus dem Ausland gewesen. Regelmäßig gingen Nachrichten von Spielerinnen aus Slowenien, Ungarn oder sogar aus Spanien ein, die sich LUV anboten. Meistens gab es allerdings wenig Daten oder Videos, um sich ein echtes Bild über das Niveau machen zu können und Probetrainings waren meistens für beide Seiten ein zu großer Aufwand. Dazu kam auch der Umstand, dass LUV zwar marketingtechnisch wie ein professioneller Klub wirken mochte, dahinter steckte allerdings ein reiner Amateurklub, der auf die Unterstützung vieler Ehrenamtliche angewiesen war.

Copyright: Arno Friebes
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Eine Verpflichtung mit Herausforderungen

Ich schaute mir die Nachricht der Kanadierin genauer an. Ihr Lebenslauf war mehr als beeindruckend: Stammspielerin der VCU in der besten US-College-Liga NCAA Division 1, Engagements bei den W-League Teams Washington Freedom und Boston Renegades und zuletzt bei WPSL-Elite-Klub Philadelphia Fever. Ihr Heimatland vertrat sie 2010 bei den U-20-CONCACAF-Meisterschaften und sogar in den erweiterten Kader der kanadischen Olympia-Mannschaft von London 2012 hatte sie es geschafft. Dazu war sie eine Linksverteidigerin und da bestand bei LUV akuter Handlungsbedarf.

So fand am 22. August 2012 der erste Austausch über einen Facebook-Chat statt. Bald war ersichtlich, dass sie nach dem erfolgreichen Ende ihrer Uni-Laufbahn ein „Gap Year“ gönnen wollte – ein Jahr Auszeit bevor es für sie zum Medizin-Studium auf eine „Grad School“ gehen würde. Diese Zeit wollte sie gerne nutzen, um Europa kennenzulernen und das mit Fußball zu verbinden war für sie ein gangbarer Weg. So hatte sie im Internet Klubs recherchiert und war so auch auf LUV Graz gestoßen.

Ich überlegte. Im Gegensatz zu Spielerinnen, die sich sonst anboten, ging es rein gar nicht um Geld. Ihre Motivation war gänzlich anders und im Grunde würde es wohl ausreichen, wenn wir ihr Unterkunft mit Verpflegung organisieren würden. Parallel zur Suche nach einer Gastfamilie machte ich mich schlau, mit welchem Visum sie nach Österreich kommen könnte. Es musste mindestens vier Monate gültig sein, denn so lange dauerte die Rückrunde der Saison 2012/13.

Wir checkten die Option, sie als Au-Pair unterzubringen, doch dafür fanden wir keine Familie, die die Voraussetzungen erfüllte. Ein liebenswerte Gastfamilie, die sie aufnehmen wollte, damit die Kinder ihr Englisch verbessern konnten, fand sich hingegen gleich in der Nähe der „Mur-Beach“-Anlage. Und nachdem der Klub erfolgreich ein Einladungsvisum für Molly beantragt hatte, sie ihr Interview bei der österreichischen Botschaft in Ottawa erfolgreich absolviert hatte und alle Formalitäten für den internationalen Transfer durch waren, landete sie am Abend des 15. März 2013 am Flughafen Graz-Thalerhof. Zu einer Zeit in der ein Schneechaos gerade halb Europa lahmgelegt hatte.

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Copyright: Peter Altenbacher
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Ein Gewinn für beide Seiten

Beim Winter-Trainingslager in Deutschlandsberg hatte sie die Möglichkeit, sich mit der Kälte und ihren Mitspielerinnen anzufreunden und schon in den ersten Einheiten sah man, dass sie eine Bereicherung für die gesamte Liga sein würde. Auch bei ihrer offiziellen Vorstellung im Rahmen einer Pressekonferenz mit dem neuen LUV-Sponsor ADMIRAL Sportwetten zeigte sie sich als Medien-Profi und die lokalen Zeitungen oder ORF Steiermark brachten auch gerne Interviews mit der blonden Verteidigerin, die vormittags stets individuelle Trainings-Einheiten einschob, weil sie ein viel größeres Trainingspensum gewohnt war als es in Graz der Fall war.

Spielerisch war sie hochmotiviert, am liebsten hätte sie den ÖFB-Cup-Titel mit nachhause nehmen wollen, aber auch der Einzug ins Cup-Halbfinale, wo man sich dem übermächtigen Neulengbach geschlagen geben musste, konnte sich sehen lassen. Dazu verfügte sie über gutes Time-Management und nutzte die spielfreien Tage für Trips innerhalb Österreichs, für Reisen nach Italien oder Ungarn. Beim Trip nach England erfüllte sie sich einen großen Traum und schaute sich – dank meiner Connection zu ÖFB-Teamspieler Andreas Weimann – ein Premier League-Heimspiel von Aston Villa live an.

Dass ihre Zeit bei LUV am Ende etwas kürzer ausfiel als erwartet, hatte einen positiven Grund: Sie erhielt nämlich von Kanadas U18-23 Excel-Program Director Andrew Olivieri eine Einberufung für ein Trainingslager der U23-Auswahl, welches im US-amerikanischen Morgantown über die Bühne ging und das Ziel verfolgte, die vielversprechendsten kanadischen Talente im Hinblick auf die Heim-Weltmeisterschaft 2015 genauer unter die Lupe zu nehmen. So wurde Molly bereits vor dem Heimspiel gegen USC Landhaus offiziell verabschiedet und mit einer Sacher-Torte im Gepäck trat sie wenige Tage später die Heimreise an.

Für beide Seiten war das Engagement eine absolute Win-Win-Situation gewesen. Sie konnte eine neue Kultur kennenlernen und dazu ihrer Leidenschaft, dem Fußballspielen nachgehen, und für den Klub öffnete sich dadurch in weiterer Folge die Tür zum nordamerikanischen Spielerinnen-Markt.

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