Es sollte knapp zweieinhalb Jahre nach meiner Rückkehr nach Österreich dauern, bis mich meine Katar-Vergangenheit einholen würde. Je näher der Start der Fußball-Weltmeisterschaft im November 2022 heranrückte, desto größer wurde das Interesse an Informationen über das Land, das seit der Vergabe der WM im Jahr 2010 unter starker medialer Kritik gestanden war. Themen wie die Situation der Gastarbeiter, Menschenrechtsverletzungen oder die Korruptionsskandale rund um die FIFA haben die Berichterstattung von Anfang an diktiert. In diesem Beitrag lest ihr mehr zu meiner Verbindung mit dem arabischen Land und warum ich meine Job-Bezeichnung auf LinkedIn auch in „Katar-Experte“ ändern könnte.
Als jemand, der sechs Jahre lang in Katar gelebt hatte, einen sehr guten Einblick in die Sport-Entwicklung des Landes gewonnen hatte und als einer der wenigen in Österreich wirklich wusste, wie es ist im Emirat zu leben, hatte ich mit der eurozentrischen Sichtweise, die in den Medien sehr oft zu finden war, so meine Probleme.
Klar war die Situation der Gastarbeiter stark verbesserungswürdig gewesen, als die WM 2010 an Katar vergeben wurde und es würde auch noch einige Zeit dauern, bis die Situation für alle Menschen ideal sein würde.
Es war ein laufender Prozess und dass die Implementierung von Maßnahmen – die schon vor 2010 bzw. mit der 2008 veröffentlichten „Qatar National Vision 2030“ begonnen hatte – in einem sehr bürokratischen Land wie Katar nicht von Heute auf Morgen funktionieren würde, war mir persönlich klar.
Ich hatte in meinen sechs Jahren in Katar auch positive Veränderungen erlebt. So wurde die Sicherheit im Straßenverkehr durch die Umwandlung der für viele verwirrenden dreispurigen Kreisverkehre in traditionelle Kreuzungen erheblich verbessert.
Auch in das unterschiedliche Fahrverhalten der Menschen aus fast 100 Ländern wurde korrigierend eingegriffen, indem jeder Expat eine Fahrprüfung ablegen musste und nicht wie früher seinen Führerschein einfach in einen katarischen umtauschen konnte.
Dazu wurde daran gearbeitet, das viel kritisierte „Kafala-System“ schrittweise abzubauen. Dabei handelte es sich um ein System, das ursprünglich auf die islamische Tradition zurückging, Schutzbedürftigen durch Bürgschaften zu helfen, ohne dafür etwas als Gegenleistung zu verlangen.
Die britische Kolonialmacht, die die Golf-Region bis Mitte des 20. Jahrhunderts kontrolliert hatte, hatte es instrumentalisiert und auf den Arbeitsmarkt angewandt, wodurch jeder Arbeitnehmer von einem „Sponsor“ abhängig gemacht wurde.
Natürlich hatte ich durch die vielen Begegnungen mit Menschen in den verschiedensten Positionen auch Geschichten gehört, die mich nachdenklich gemacht hatten: Vom Taxifahrer aus Indien, der lieber den Großteil seines Einkommens zu seiner Frau und drei Kindern schickte, damit sie zuhause ein schönes Leben haben, während er mit acht anderen Männern in einer Ein-Zimmer-Wohnung hauste.
Vom Security Guard aus Ghana, der am Flughafen in Accra noch nicht wusste, ob er ein Ticket nach Saudi Arabien, Bahrain oder Katar von der Recruiting-Firma in die Hand gedrückt bekommen würde. Oder die philippinische Ärztin, die es auf sich nahm, zwei Jahre lang als Stewardess zu arbeiten, um in ihrer Freizeit alle erforderlichen Prüfungen abzulegen, um dann in ihrem eigentlichen Job in Doha arbeiten zu dürfen. So hart die Situation für viele auch sein mochte – für viele von ihnen war ein Job in Katar der einzige Ausweg, um ihre Familien versorgen zu können.
Das Interesse an meiner differenzierten Sichtweise
Es würde den Rahmen dieses Blog-Beitrags sprengen, wenn ich meine Katar-Erfahrungen hier noch weiter ausbreiten würde. Fakt ist aber, dass ich mich mit der Geschichte von Katar, mit den politischen Entwicklungen und auch der Kritik am WM-Gastgeberland sehr intensiv auseinandergesetzt hatte, nachdem ich 2020 nach Österreich zurückgekehrt war.
Das passierte auf verschiedene Arten – zum einen hatte ich in Doha internationale Journalisten kennengelernt wie den Engländer John McManus, der immer wieder für Recherchen nach Katar kam, mit dem Ziel ein Buch über Katar zu schreiben, das es in dieser Form noch nicht gegeben hatte. Das Resultat war das 2022 erschienene Buch „Inside Qatar: Hidden Stories from one of the richest nations on earth“.
Viele der Geschichten, über die er gestolpert war, deckten sich mit den Erfahrungen, die ich in Katar gemacht hatte. Dazu hatte ich natürlich noch immer einen guten Draht zu Freunden und Bekannten im Emirat und wusste so immer, was das Emirat gerade bewegte.
Diese Einblicke verbunden mit meiner Vita und meinem Background in Katars Sport-Talenteschmiede Aspire Academy machten mich für österreichische Medien im Hinblick auf die kurz bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft interessant:
Es begann mit einer Nachricht im Facebook-Messenger von ballesterer-Redakteur Simon HirtMitte August, der fragte, ob ich Interesse hätte, ihm für einen Podcast zur WM mit dem Titel „Katar 2022 – Eine Frage der Haltung“ ein Interview zu geben. Die anderen Haltungen dieser Podcast-Serie kamen u.a. von ÖFB-Torhüterin Manuela Zinsberger, Fußball-Legende Herbert Prohaska und Ex-ÖFB-Teamstürmer Marc Janko.
Neben ihm sollte ich wenige Tage vor dem WM-Start im TV-Studio von Puls 4 in Wien sitzen, als ich als österreichischer Katar-Experte zu einer interessanten Diskussion der Sendung „Pro und Contra“ zum Thema „Korrupt, kaputt, Katar – Sollen wir die Fußball-WM boykottieren“ eingeladen war.
Bereits wenige Stunden später saß ich bei der nächsten Panel-Diskussion über die WM: Diesmal hieß das Thema „Katar – eine Weltmeisterschaft zwischen Sport, Kommerz und Autokratie“ und fand im Rahmen des „sportsbusiness.at Breakfast Clubs” in der ADMIRAL Arena Prater statt.
Viele Emotionen im ORF-WM-Studio
Zu dem Zeitpunkt, als ich die Nachricht des ballesterer-Redakteurs im August bekommen hatte, wusste ich nicht, welche Ausmaße das Interesse an meiner Expertise über Katar noch annehmen würde.
Je näher die Wüsten-WM rückte, desto mehr Anfragen gab es und ich hätte meine Job-Bezeichnung auf LinkedIn problemlos auf „Katar-Experte“ ändern können, denn meine Medien-Aktivitäten nahmen bald den Großteil meiner Zeit in Anspruch: Oberösterreichische Nachrichten, Kleine Zeitung, Kleine Zeitung Next, Kronen Zeitung, Krone TV, APA, ORF Steiermark Radio, Steiermark heute, Antenne Steiermark, Salzburger Nachrichten, Sky Sport Austria, eXXpress TV uvm. setzten auf meine Expertise und sorgten dafür, dass den Menschen in Österreich auch eine differenzierte Sichtweise über Katar geboten wurde, die nicht dem Mainstream entsprach.
Es war mir auch persönlich im Hinblick auf meine vielen Freunde und Bekannten in Katar wichtig, zu erzählen, wie positiv ich Katar als österreichischer Expat erlebt hatte. Klar gab es z.B. bei der Situation der Arbeitsmigranten noch Verbesserungspotenzial, aber es war nicht alles so schwarz und weiß, wie es in den Medien oft dargestellt wurde.
Der weitaus emotionalste Moment war für mich definitiv der Auftritt in der Live-Übertragung des WM-Spiels zwischen Katar und Senegal im ORF Studio in Wien.
Ich durfte das Spiel von der Vorberichterstattung über die Halbzeit-Analyse bis hin zur Nachbesprechung an der Seite von Moderatorin Kristina Inhof, Fußball-Analytiker Roman Mählich und Schiedsrichter-Experte Thomas Steiner als Experte für das Land Katar und die katarische Nationalmannschaft begleiten.
Schon als ich die Startaufstellung in den Händen hielt, freute ich mich darüber, dass Coach Felix Sanchez mit Meshaal Barsham und Assim Omer Madibo zwei neue Spieler gegenüber dem WM-Eröffnungsspiel ins Rennen geschickt hatte, die ich schon seit ihrer Zeit als Teenager in der Aspire Academy kannte.
Dass ich nun im ORF die Möglichkeit hatte, die Aufstellung der Katari im Live-Fernsehen durchzugehen und Einblicke in die Entwicklung des Nationalteams und regierenden Asien Cup-Siegers zu geben, war von den Emotionen her definitiv eines meiner persönlichen Highlights dieser Weltmeisterschaft.